"Was an den Texten von mir stammt, ist falsch."

Ein Seminar- und Lesetagebuch der Phänomenologie des Geistes

Ich bemühe mich im Folgenden, meine durch eine Gasthörerschaft begleitete Lektüre der Phänomenologie des Geistes von Georg Wilhelm Friedrich Hegel wiederzugeben, welche wesentliche inhaltliche Momente seiner "Wissenschaft der Wahrheit" anreißt, und lebendige Wahrheit bleibt, durch ihren Anspruch zum eigenen Leseversuch anzuregen und ihren teilweise anekdotischen, auf keinen Fall vollständigen Charakter, bei dem ich mir nachträgliche Rückbesinnung und Korrekturen erlauben werde, diese eventuell zum Teil auch nachvollziehbar nebeneinander stehen lasse hierbei.

Ich werde hierbei Fehler machen, nicht hauptsächlich weil ich mich als außerakademisch interessierter Mensch an den Versuch des Verständnis dieser nicht ganz leicht verdaulichen philosophischen Schrift wage, nicht nur weil Fehler im (Nach-)vollzug der verschiedenen notwendigen Gestalten des Bewusstseins auf dem angeblichen Weg zum absoluten Wissen inhärent und konstitutiv vorgesehen sind, und nicht ausschließlich aufgrund des Voraussetzungsreichtums und Umfangs des Werkes und meines Projektes.

Phantom Edges, mein (einer Künstlerin* eines anderen Gebietes entlehnter) Projektname, der zufällig exzellent mein Verhältnis zur Wirkung, welche gelungene Kunst, Musik, Philosophie auf mich haben, nämlich, die Grenzen des zuvor für möglich Gehaltenen immer wieder zu verschieben und zu diffundieren, beschreibt.

Ausweitung eines Universums im Überschreiten der nur individuellen endlichen Wahrnehmung, Begleitung eines Fragmentes in seiner potentiell unendlichen Ausdehnung.

*mein Dank gebührt Velvet Veronica

Erste Vorlesung: Übersicht

"Man weiß doch das es die Wahrheit nicht gibt"

Im ersten Seminar zur Phänomenologie des Geistes, angeleitet von Dr.phil. Hans-Georg Bensch, haben wir uns gemeinsam eine Übersicht über die vor uns liegende Aufgabe verschafft, die, wenn man Hegel glauben darf, nicht nur jene von allen Individuen, die sich vorgenommen haben, das Werk lesend zu begreifen, sondern auch der vom Weltgeist beseelten Weltbevölkerung auf dem Rücken ihrer bisherigen historischen und intellektuellen Entwicklung darstellt:

Der Weg des sich vollbringenden Skeptizismus auf dem Gang durch die hierbei notwendigen vorläufigen Gestalten des Bewusstseins hin zum absoluten Wissen.

Hegels bewusst gewählte Darstellungsform ist hierbei jene der Entfaltung eines absoluten Prinzips, bei dem das Resultat zugleich die Voraussetzung sein wird (Massive Spoiler Alert!).

Im Gegensatz zu und in Kritik an seinen Vorgängern, Fichte, Schelling und Kant (in den ersten beiden Fällen durchaus auch zeitweise Weggefährten und Vorbilder), versucht GWF hierdurch dem Widerspruch zu entgehen, vorgefundene Urteilsformen als Kategorien vorauszusetzen, statt sie nachvollziehbar zu entfalten. Mit diesem Anspruch bleibt ihm nicht weniger übrig, als ein System zu behaupten, welches ALLES erscheinende Wissen einschließt, eine Totalität auszubreiten, die kein Außerhalb dieses Wissens mehr zulässt.

Während ebengenannte sich in ihren Schriften auf die Erkenntnistheorie limitieren, wird Hegel jene nach dem dritten Kapitel der Phänomenologie hinter sich lassen, und zu einer "Metakritik der Erkenntnistheorie" (Adorno) wechseln, welche im Verlauf als nicht mehr rein philosophisches, sondern ebenso politisches, theoretisches, praktisches Werk die Vorbereitung zur Wissenschaftlichkeit des Geistes darstellen und auf den einen Begriff der Philosophie bringen soll.

Die Grundannahme bei dieser Ausführung ist jene, dass wenn (ein) Bewusstsein sich die Welt durch Vernunft aneignen und darin bestehen kann, auch Vernunft in dieser Welt selbst vorzufinden sein muss, da es sonst zu überhaupt keiner Übereinstimmung kommen könnte. 

"Vernunft ist wirklich."

Zudem existieren in der menschlichen Welt nicht nur Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch geistige Produkte menschlicher Praxis wie zum Beispiel Kultur, Recht oder Sprache, welche bestenfalls eine Realisation unserer Freiheit darstellen und über Generationen aufgebaut und erweitert wurden.

Parallelen zwischen Kunst, Religion und Philosophie sieht Hegel in der Beschäftigung all dieser menschlichen Praktiken mit dem Absoluten, welches über das Bestehende und die jeweils praktizierenden Einzelwesen hinausweist und synonym mit dem Göttlichen zu verstehen ist.

Absolutes Wissen wäre anhand unserer ersten Sitzung der Geist, der sich im Anderssein selbst erkennt.

Die vom Dr. selbst als etwas wagemutig beschriebene Idee der Vorlesungs-/Seminarreihe ist vorläufig, pro Vorlesung ein Kapitel schlaglichtartig zur eigenen Weiterbeschäftigung zu behandeln.


Bewußtsein

I Die sinnliche Gewißheit oder das Diese und das Meinen

"Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welche selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist."

Wir rekapitulierten, dass Descartes´ Widerlegung von Skeptizismus und Solipsismus ("Ich denke, also bin ich.") das heißt, "Ich", das Subjekt, existiert, ("Ich bin nicht mein eigener Existenzgrund.") das heißt zumindest etwas außer mir, (das) Objekt, existiert auch, die größten Errungenschaften seiner Philosophie und die Grundlage jeder weiterführenden Erkenntnis darstellen. Der Rest seines Werkes sei wenigstens problematisch. Wenngleich hiermit logisch überwunden, erfolgt doch auch in den einzelnen philosophischen Strömungen, zum Beispiel der Empirie, immer wieder eine Rückkehr zum klassischen Skeptizismus ("Wir können nicht verallgemeinern." David Hume).

Als vorübergehende, aufzuhebende Gestalt des Bewusstseins wird auch dieser an allem zweifelnde Skeptizismus von Hegel im Verlauf der Phänomenologie bei seinem Scheitern expliziert werden, was jedoch nicht gleichbedeutend damit sei, dass wir als einzelne, dem Studium der Philosophie nachgehende Individuen, aufhören sollten, skeptisch zu denken bei der Lektüre und dem was uns vorgetragen wird.

"Niemand kann sie zum Denken und Erkennen zwingen. Richtige Argumente aufeinander zu setzen ist immer nur ein Angebot."

Als Hinweis zur frisch begonnen Lektüre erhalten wir, dass schon im "Wissen des Absoluten" eine für Hegel nicht unübliche Doppelbedeutung steckt, nämlich zum einen das (unser) Wissen VOM Absoluten, als auch ein Wissen eines Absoluten, dass selbst etwas weiß. Uns werden solche sprachliche Figuren noch öfter begegnen, Übereinstimmungen, welche nicht in einer Tautologie zusammengeschnurrt, sondern in ihrer Differenz identisch sind.

Da der singuläre menschliche Geist ohne Frage fehlerhaft ist, und der Erkenntnis des Absoluten folgerichtig allein nicht fähig wäre, verstehe sich Hegel als "Sekretär des Weltgeistes" (siehe oben "Was an dem Werk von mir ist, ist falsch.") Geist sei zu finden als anschauender in der Kunst, als sittlicher in der Religion und als absoluter (wissenschaftlicher) in der Philosophie.

An dieser Stelle unternehmen wir eine Exkursion in die christliche Religion ab dem Zeitpunkt des neuen Testamentes, welche die Verantwortung des Menschen (zunächst als Mythos) als Subjekt der eigenen Weltgeschichte durch die Menschwerdung Gottes, bzw die Gottwerdung des Menschen begründet hat.

Wir beginnen das erste Kapitel mit der Feststellung, dass die sinnliche Gewissheit beansprucht, unmittelbares Wissen zu sein, und wir werden im Laufe der Ausführung ihrer Tätigkeit feststellen, dass sie es gar nicht ist. Schon im Auseinanderfallen eines das sinnliche Ding aufnehmenden Bewusstseins und dem sinnlichen Ding besteht nämlich eine Vermittlungsleistung, so dass weiterhin dieses so wahrgenommene Ding weder "unvermittelt" noch "das Wahre" gennannt werden kann.

Weiterhin stellen wir fest, dass nur ein dialektisches Zusammenspiel aus unmittelbarem und vermitteltem Wissen Erkenntnnis überhaupt logisch ermöglicht, da nur unmittelbares, als "wunderbare Offenbarung" erhaltenes Wissen jeden Irrtum unmöglich machen würde, nur vermitteltes Wissen sich im endlosen Regress nicht aufhörender Beweispflicht verlöre.

Die sinnliche Gewissheit, welche in ihrer Grenzenlosigkeit sich zunächst als "reichste" und "wahrhaftigste" Erkenntnis ausmachte, hat bei genauer Betrachtung die Armut an ihr, nichts aussagen zu können als "Hier, Jetzt, Ich." 

Sie verhält sich also sozusagen als ein Staubkorn im Universum, das da behauptet die Sicherheit zu haben: "Es ist."

Weiterhin stellen wir fest, dass Zeit und Raum, also "Hier und "Jetzt", mittels derer die sinnliche Gewissheit ja Konkretes aufzeigen will, tatsächlich monolithische, unveränderliche Allgemeine sind, deren Inhalt wechselt, außerdem zur Ausdehnung ins Größte und Teilung ins Kleinste unendlich fähig. "Auf die Frage: was ist das Jetzt? antworten wir also zum Beispiel: das Jetzt ist die Nacht. Um die Wahrheit dieser sinnlichen Gewißheit zu prüfen, ist ein einfacher Versuch hinreichend. Wir schreiben diese Wahrheit auf; eine Wahrheit kann durch Aufschreiben nicht verlieren; ebensowenig dadurch, daß wir sie aufbewahren. Sehen wir jetzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, daß sie schal geworden ist." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, Suhrkamp 1970, S.84)

Wie bei der Überführung der Widersprüchlichkeit dieser ersten Gestalt des Bewusstseins, der sinnlichen Gewissheit, wird das Bewusstsein auch in jeder weiteren Gestalt eine Erfahrung machen, und diese aufheben auf dem Gang durch die Phänomenologie zum absoluten Wissen.

II Die Wahrnehmung oder das Ding und die Täuschung

Im zweiten Kapitel ist die Wahrnehmung im Fokus der Selbstbeobachtung: Eine Allgemeinheit, welche aus den konkreten Vorgängen des “Wahrnehmens” (einer Wahrnehmenden/ Subjekt) und des “wahrgenommen werdens” (eines Wahrgenommenen/Objekt) zusammengesetzt ist, eine Trennung die also wie im vorangegangen Kapitel zur sinnlichen Gewissheit weiterhin besteht, allerdings in ihrer Vermittlung weiter ausdifferenziert wird.

Auch hier finden wir schon in der Überschrift eine hegelsche sprachliche Spitzfindigkeit vor:

Die Wahrnehmung, welche sich das “Wahre” “nimmt” kann ebenso als ein Ergreifen denn ein "sich um dieses Wahre bringen" interpretiert werden.

Welches von beidem sie zu leisten imstande ist, werden wir im Verlauf des Kapitels anhand der Darstellung ihres Tuns noch erfahren.

Als Hinweis zum Lesen des Kapitels wurde voran gestellt, dass das Kriterium der “Sich-Selbst-Gleichheit” wiederum als Anhaltspunkt für das “Wahre” gelten wird, und es außerdem relevant ist von welchem der Begriffe Medium, Dingheit und Ding an welcher Stelle Gebrauch gemacht werden wird, da mit der Entfaltung der Tätigkeit des “Wahrnehmens” der Umfang der Voraussetzungen der Begriffe zunimmt. Während das Medium noch unwahrgenommenes, loses Zusammentreffen von Eigenschaften sein kann, sind sie in der Dingheit tendenziell schon zu einem festen Etwas zusammengedacht, im Ding sogar unter Einbeziehung der Abgrenzung zu anderen Dingen.

Auch die Täuschung, das dritte Nominativ der Überschrift, ist notwendiger Teil der Wahrnehmung, da wahrnehmendes Subjekt sein eigenes Tun beim Wahrnehmen reflektiert, und somit ein Bewusstsein der Täuschung inkludiert.

Der Gegenstand des Wahrnehmens ist also das Ding von vielen Eigenschaften, in der Phänomenologie am Beispiel Salz dargelegt.

Im ersten Schritt erscheint uns dieser unwandelbar, wesentlich, und wir uns in unserer Rezeption der verschiedenen Eigenschaften unstet, die da zb scharf, salzig, kubisch usw gegeneinander gleichgültig durch unsere verschiedenen Sinneskanäle auf uns einwirken.

Ohne synthetisierende Leistung eines Verstandes jedoch, könnten diese vielen Eigenschaften überhaupt nicht zu einem Ding, welchem wir den Namen Salz geben und untereinander kommunizieren können, zusammengedacht werden, so dass wir in einem zweiten Schritt feststellen, mindestens genau so wesentlich für den Vorgang zu sein wie ebenjenes.

Nachdem auch dieser sichere Hafen des Unwandelbaren oder Sich-Selbst-Gleichen sich als Fata Morgana herausgestellt hat, stellen wir darüber hinaus auch noch fest, dass all die sich gegenseitig nicht beeinflussenden von uns wahrgenommenen Eigenschaften nur dadurch für uns bestimmt sein können, dass sie sich auf das andere als entgegengesetzte beziehen, was die Seltsamkeit beeinhaltet, dass das Wesentliche eines wahrgenommenen Gegenstandes nun auch noch seine Negation zu sein hat.

All diese Phänomene nacheinander wie zuvor und doch nicht auf die selbe Weise durchlaufend und aufhebend stellt das Bewusstsein also fest, widersprüchlicherweise sowohl selbst auschließende Eins und Viele zu sein, wie es auch der Gegenstand, das Ding ist, wie auch dem angeblich Wesentlichen beim Versuch es festzumachen immer wieder verlustig zu werden, und das Ding durch seine Wahrnehmung zu verändern, also die Möglichkeit der Unwahrheit oder Täuschung in sich zu enthalten, wodurch es allerdings wiederum fähig ist, diese zu korrigieren.

Durch diese synthetisierende und korrigierende, sich selbst hierbei reflektierende Bewegung ist das Bewusstsein nun in das Reich des Verstandes endgültig eingetreten, und seine sinnliche Gewissheit verschwindet in der dialektischen Bewegung und wird sinnliche Allgemeinheit.

Die Philosophie nun soll, laut Hegel und so im Werk expliziert, in der Lage sein, die Gedanken über diese widersprüchlichen Unwesen zusammen zu bringen und sich so vor der immergleichen sophistischen Repitation zu emanzipieren, sich selbst zu widersprechen, indem einmal das Ding, dann wieder die Wahrnehmung als Nichtwahres zu behaupten, nur um beim nächsten Mal das Gegenteil davon zu sagen.

Wir halten diesen notwendigen Schritt auf dem weiteren Wege also fest als noch nicht geeignet, das “Wahre” zu erkennen.

III Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt

Dem dritten, nicht eben leicht zugänglich formulierten Kapitel fällt die Aufgabe zu, nicht nur als letztes der drei "Bewusstseinskapitel" mit dieser Voraussetzung der folgenden Gestalten dessen, was wir bisher nur als eben, Bewusstsein, begreifen konnten, abzuschließen, sondern auch mit der bisher unverbundenen Schlucht zwischen Subjekt und Objekt, Wahrnehmendem und Wahrgenommenem.

Hierzu leiten soll uns die Frage, durch welches gemeinsame Dritte die bisherigen Kriterien der Wahrheit: Unmittelbarkeit und Sich-Selbst-Gleicheit miteinander verknüpft werden können. Den Versuch der Philosophie, seit den Vorreitern des Idealismus praktiziert und von zb dem "Quälgeist" (Bensch) Jacobi mit dem Vorwurf bedacht: 

"Ihr wollt Ungleiches gleich machen"

prägte bisher das Dilemma des Dualismus, aus dem die vorhegelschen Denker nicht ausfinden konnten (Fichte, Schelling) oder wollten (Kant). Besonders Immanuel Kant hat hierbei sozusagen auf der Grenze zur Lösung getanzt, ohne "den Sack zu zu machen" (Bensch), aus Angst, dem Konstruktivismus anheim zu fallen. Besonders deutlich tritt dies zb im Zitat aus der Kritik der reinen Vernunft, B194|A154 zu Tage. "In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriffe hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war mit demselben in Verhältnis zu | betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhältnis der Identiät, noch des Widerspruchs ist, und wobei dem | Urteile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum angesehen werden kann."

Bei Hegel wird dieser "Unterschied der keiner ist", also die Kopula "=" zweier unterschiedener Gegenstände, welche in derselben Bewegung unterschieden nur um dann wieder gleichgesetzt zu werden, vom Dilemma zum Verständnisschlüssel zur Überwindung der klaffenden Lücke zwischen dem verstehenden Subjekt und seiner Umwelt, und das hört sich in der Phänomenologie des Geistes dann unter anderem so an:

"Sie setzt nämlich einen Unterschied, welcher nicht nur für uns kein Unterschied ist, sondern welchen sie selbst als Unterschied aufhebt. Es ist dies derselbe Wechsel, der sich als das Spiel der Kräfte darstellte; es war in ihm der Unterschied des Sollizitierenden und Sollizitierten, der sich äußernden und der in sich zurückgedrängten Kraft; aber es waren Unterschiede, die in Wahrheit keine waren und sich darum auch unmittelbar wieder aufhoben. Es ist nicht nur die bloße Einheit vorhanden, so daß kein Unterschied gesetzt wäre, sondern es ist diese Bewegung, daß allerdings ein Unterschied gemacht, aber, weil er keiner ist, wieder aufgehoben wird."(GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.127)

Diese Bewegung, auf der im dritten Kapitel die ganze Emphase der Synthetisierung der Wahrnehmung liegt, hat zum Ziel, ein Objekt zu denken, welches durch die An- und Wiedererkennung der Dualität im eigenen Ich wie der wahrnehmbaren Außenwelt, "Herrin über den Widerspruch" ist, statt ihn nur durch reines Verstandesdenken vermeiden zu wollen. 

Was Hegel hierbei seiner Zeit entsprechend, durch den abstrakten Begriff "Kraft" und die damals relativ neu gefundenen und bahnbrechenden Gesetze der Elektrizität und des Magnetismus zu veranschaulichen versucht, ist die ewige Reproduktion der Kausalkette von Ursache und Wirkung, die letztendlich grundlos bleiben muss, und die Entsprechung der abstrakteren Begriffe "Kraft und Äußerung" darstellt.

“Eine Kraft übt eine bestimmte Macht über ihre Wirkungen aus und bleibt bei allen ihren verschiedenen Manifestationen sie selbst. Sie wirkt, mit anderen Worten, gemäß einem ihr inhärenten ››Gesetz‹‹ so daß, wie Hegel sich ausdrückt, die Wahrheit der Kraft ››das Gesetz der Kraft‹‹ ist. Das Reich des Wesens ist nicht, wie es zunächst schien, ein blindes Spiel von Kräften, sonder die Sphäre ewiger, die Form der wahrnehmbaren Welt bestimmender Gesetze.” (Herbert Marcuse, “Vernunft und Revolution”, Suhrkamp 2020, S.105)

Wie also schon in der Vorrede vom Entstehen und Vergehen eines Samen, welcher zur Blüte reift und schließlich sich in der Ausbildung der Frucht vollendet, die Rede war, um auf das einzig durch alle Phasen beständig bleibende Element des Werdens zu verweisen, ist hier also die Rede von der "absolute [n] Unruhe des reinen Sichselbstbewegens", und hiermit das einfach Wesen des Lebens, als auch das verbindende Element (gemeinsame Dritte) der Wahrheitskriterien Sich-Selbst-Gleichheit und Unmittelbarkeit gefunden.

Das bisherige Bewusstsein, dass durch diesen Kniff in allen von ihm unterschiedenen und wieder gleichgesetzten Phänomenen der Welt außer ihm nun immer nur sich in sich selbst reflektiert wieder findet, reift durch diesen Umstand zum Selbstbewusstsein und die Reise geht weiter zum Abschnitt B des absonderlichen Schinkens.

“Die Wahrheit des Verstandes ist das Selbstbewußtsein.” (ebd. S.106)

B
Selbstbewußtsein

IV Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst

"Mit dem Selbstbewußtsein sind wir nun also in das einheimische Reich der Wahrheit eingetreten." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.138)

Im Abschnitt B erfolgt der Schritt von der bisher als rein äußerlich wahrgenommenen Welt mit autonomen, nur aufzunehmenden Gegenständen, und das Bewusstsein gelangt zum Bewusstsein seiner selbst: dem Selbstbewusstsein. Die Trennung zwischen Subjekt und Objekt wird aufgehoben und das Selbstbewusstsein wird sich selbst zur Wahrheit und zum ersten Mal einfacher, unmittelbarer Geist.

Anders: "Die dem Bewusstsein innewohnende Dualität- gegebenes äußeres Phänomen und konstruierte innere Vorstellung- gelangt zur Einheit des Selbstbewusstseins" (Klaus Vieweg, “Hegel”, C.H. Beck 2023, S.273)

Das Selbstbewusstsein hat nun also die Erfahrungen der voran gegangenen, wahrnehmenden Erprobung seiner Beschaffenheit in sich aufgehoben und weiß darum, sowohl denkend Wesen als damit auch Konstrukteurin seiner Umwelt, wie es sie aufnimmt, zu sein. Sie ist ihm dadurch nicht mehr äußerlich, sondern wird zu einem Unterschied, welcher direkt wieder zurückgenommen wird.

"Aber in der Tat ist das Selbstbewußtsein die Reflexion aus dem Sein der sinnlichen und wahrgenommenen Welt und wesentlich die Rückkehr aus dem Anderssein. Es ist als Selbstbewußtsein Bewegung; aber indem es nur sich selbst als sich selbst von sich unterscheidet, so ist ihm der Unterschied unmittelbar als ein Anderssein aufgehoben; der Unterschied ist nicht, und es nur die bewegungslose Tautologie des: Ich bin Ich;" (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.138)

Dieses In-sich-zurück-nehmen, oder aufzehren der sinnlichen Welt durch das Selbstbewusstsein erfährt es als Begierde, und den Gegenstand der Begierde als Lebendiges, denn nicht nur das Selbstbewusstsein kehrt bei diesem Vorgang in sich zurück, sondern auch der negierte Gegenstand, welcher nicht nur für uns, sondern auch an sich ist, verhält sich in der gleichen Weise.

Hierdurch entsteht eine  kreisförmige Bewegung des Unterscheidens und Aufhebens, deren Momente sich stets im Zerfall erneuern und damit bewegungslose Bewegung, unendliche Substanz: Leben.

"Das Wesen ist die Unendlichkeit als das Aufgehobensein aller Unterschiede, die reine achsendrehende Bewegung, die Ruhe ihrer selbst als absolut unruhiger Unendlichkeit; die Selbständigkeit selbst, in welcher die Unterschiede der Bewegung aufgelöst sind; das einfache Wesen der Zelt, das in dieser Sichselbstgleichheit die gediegene Gestalt des Raumes hat." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.140)

Dieser Prozess, der sich Leben nennt, ist nur in seinem Vollzug, dem ständigen Entstehen und Zurücknehmen von Individiualität und Gestalt aus der "flüssigen Substanz" der "reinen Bewegung selbst" her zu begreifen. Jede aus diesem Prozess erzeugte besondere Form bezieht sich direkt wieder auf die flüssige Substanz der reinen Bewegung und geht in diese zurück, das-sich-selbst-Gleiche des entstehenden Selbstbewusstseins erkennt sich als Gattung.

Das Selbstbewusstsein zehrt mit seiner Begierde Lebendiges auf, wie Nahrung oder die Gegenstände der ihn umgebenden Welt und erzeugt dadurch nur immer neue Begierde und den Zwang zur Wiederholung, es bleibt also unbefriedigt in dieser negierenden Bewegung, und stellt fest, nur durch ein anderes Bewußtsein wirkliche Befriedigung erlangen zu können.

"Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Erst hierdurch ist es in der Tat; denn erst hierin wird für es die[144] Einheit seiner selbst in seinem Anderssein; ich, das der Gegenstand seines Begriffs ist, ist in der Tat nicht Gegenstand; der Gegenstand der Begierde aber ist nur selbständig, denn er ist die allgemeine unvertilgbare Substanz, das flüssige sichselbstgleiche Wesen. Indem ein Selbstbewußtsein der Gegenstand ist, ist er ebensowohl Ich wie Gegenstand. – Hiermit ist schon der Begriff des Geistes für uns vorhanden. Was für das Bewußtsein weiter wird, ist die Erfahrung, was der Geist ist, diese absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e], die Einheit derselben ist; Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist. Das Bewußtsein hat erst in dem Selbstbewußtsein, als dem Begriffe des Geistes, seinen Wendungspunkt, auf dem es aus dem farbigen Scheine des sinnlichen Diesseits und aus der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart einschreitet." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.145)

A. Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit 
des Selbstbewusstseins;
Herrschaft und Knechtschaft

"Es ist für das Selbstbewußtsein ein anderes Selbstbewußtsein: es ist außer sich gekommen. Dies hat die gedoppelte Bedeutung: erstlich, es hat sich selbst verloren, denn es findet sich als ein anderes Wesen: zweitens, es hat damit das Andere aufgehoben, denn es sieht auch nicht das Andere als Wesen, sondern sich selbst im Anderen" (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.146)

Im, zumindest dem Namen nach, vielleicht bekanntesten Kapitel der Phänomenologie des Geistes, welches sowohl von Marx für sein Kapital zitiert und kritisiert wurde, sowie zahlreichen kritischen und "kritischen" Theoretikern der ersten bis dritten Generation als Ausgangsmaterial für Aphorismen und Bonmots dient, hat das frisch gebackene Selbstbewusstsein festgestellt, dass es Befriedigung nur durch ein anderes Selbstbewusstsein erlangen kann.

Es wird an und für sich, oder Anerkanntes, nur durch ihm Gleiches, und dieser Vorgang zwischen einem Selbstbewusstsein und einem anderen geschieht in der Weise, dass beide sich wechselseitig versuchen aufzuheben, oder wie Hegel es charmant ausdrückt: 

"Das Verhältnis beider Selbstbewußtsein[e] ist also so bestimmt, daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.148/149)

Dies geschieht durch einen metaphorischen Tanz, bei dem sie sich in ihrem Tun wechselseitig spiegeln, denn es kann keines an dem anderen tun, was jenes nicht an ihm ebenso verrichtet.

"Diese Bewegung des Selbstbewußtseins in der Beziehung auf ein anderes Selbstbewußtsein ist aber auf diese Weise vorgestellt worden als das Tun des Einen; aber dieses Tun des Einen hat selbst die gedoppelte Bedeutung, ebensowohl sein Tun als das Tun des Anderen zu sein; denn das Andere ist ebenso selbständig, in sich beschlossen, und es ist nichts in ihm, was nicht durch es selbst ist. Das erste hat den Gegenstand nicht vor sich, wie er nur für die Begierde zunächst ist, sondern einen für sich seienden selbständigen, über welchen es darum nichts für sich vermag, wenn er nicht an sich selbst dies tut, was es an ihm tut. Die Bewegung ist also schlechthin die gedoppelte beider Selbstbewußtsein[e]. Jedes sieht das Andere dasselbe tun, was es tut; jedes tut selbst, was es an das Andere fordert, und tut darum, was es tut, auch nur insofern, als das Andere dasselbe tut; das einseitige Tun wäre unnütz; weil, was geschehen soll, nur durch beide zustande kommen kann." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.146)

In diesem Kampf um Anerkennung eines Selbstbewusstseins durch ein anderes, ihm gleiches, kann es zu einem asymmetrischen Verhältnis kommen, sofern eines der Selbstbewusstseine in diesem Kampf aus Angst um das eigene Leben nachgibt und ihn somit verliert, also zum knechtischen Bewusstsein wird. Hier wird Hegel das erste Mal auch historisch konkreter, wenngleich nicht ausschließlich und auf eine ganz bestimmte historische Begebenheit bezogen, sondern vor allem in Kritik an die durch andere bürgerliche Staatsphilosophen wie 

Hobbes (,„Ich zeige zuerst, dass der Zustand der Menschen ohne zivile Gesellschaft (welcher Zustand der Naturzustand genannt werden darf kein anderer ist als ein Krieg aller gegen alle; und dass in diesem Krieg alle das Recht haben zu allem") 

Locke („Der Naturzustand] ist ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.") 

und Rousseau („Aus dieser Darlegung folgt, dass die Ungleichheit, die im Naturzustand fast gleich Null ist, ihre Kraft und ihr Wachstum aus der Entwicklung unserer Fähigkeiten und den Fortschritten des menschlichen Geistes bezieht und schließlich durch die Einführung des Eigentums und der Gesetze dauerhaft und rechtmäßig wird.") 

vorgenommenen rekonstruktivierenden Rückbezüge auf die Vorzeit. Es liegt also explizit keine historisch-lineare Darstellung vor. 

Während zum Beispiel Ludwig Siep nun "idealtypische Formen des Verhaltens des Menschen zum anderen Menschen" (Ludwig Siep, "Der Weg der Phänomenologie des Geistes", Suhrkamp 2018, S.98) in der Darstellung vermutet, hebt Ernst Bloch vor allem auf die Einlösung des Versprechens der Vorrede vom bewegten, sich selbst gestaltenden Inhalt an:

"Das erhellt sogleich an der Darstellung des selbstständigen und des unselbstständigen Selbstbewußtseins: es erscheinen die Momente des Herrn und des Knechts, mit dem hochbedeutenden Effekt, daß die Fortentwicklung des Selbstbewußtseins durch das Bewußtsein des arbeitenden Knechts, nicht des genießenden Herrn geschieht." (Ernst Bloch, Subjekt-Objekt,  Suhrkamp 1972, S.71)

Womit wir bei der Dialektik des Verhältnis´, welches durch die einseitige Anerkennung eines Selbstbewusstsein (Herr) durch ein anderes (Knecht) angelangt wären, und dem Aspekt, welchen Marx prominent als Begründung für seine Theorie der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt zu Rate zieht.

"Im Jahre 1844 schärfte Marx in einer kritischen Analyse der Hegelschen Phänomenologie des Geistes die Grundbegriffe seiner eigenen Theorie. Er beschrieb die "Entfremdung" der Arbeit in den Begriffen der Hegelschen Diskussion von Herr und Knecht. Marx war mit den Stufen der Hegelschen Philosophie, die der Phänomenologie vorangehen, nicht vertraut; er erfaßte aber trotzdem den kritischen Aspekt der Hegelschen Analyse, selbst in der verflüchtigten Form, in der es gesellschaftlichen Problemen gestattet war, in die Phänomenologie des Geistes einzugehen. Er sah das Große dieses Werkes in der Tatsache, daß Hegel die »Selbsterzeugung« des Menschen (daß heißt, die Herstellung einer vernünftigen Gesellschaftsordnung durch die freie Aktion des Menschen) als einen Prozeß der »Vergegenständlichung« und ihrer »Negation« begriff, kurzum, daß er das »Wesen der Arbeit« erfaßte und den Menschen »als Resultat seiner eigenen Arbeit« ansah. Marx verweist auf die entschiedene Einsicht Hegels, die ans Licht brachte, daß Herrschaft und Knechtschaft mit Notwendigkeit aus bestimmten Arbeitsbeziehungen hervorgehen, die wiederum Beziehungen zu einer »verdinglichten« Welt sind. Die Beziehung des Herrn zum Knecht ist daher weder eine ewige noch eine natürliche, sondern hat ihre Wurzel in einer bestimmten Arbeitsweise und in der Beziehung des Menschen zu seinen Arbeitsprodukten." (Herbert Marcuse, Vernunft und Revolution, Suhrkamp 2020, S.109)

Dadurch, dass in diesem nicht wechselseitigem Verhältnis nun der Herr über den Knecht verfügt und gebietet, und der Knecht die Arbeit für die Reproduktion beider verrichtet, schlägt dieses um in sein Gegenteil. Der Herr kann in den Genuss der bearbeiteten Natur nur durch die Hände des Knechts gelangen, und hat keine Kenntnis über ihre Verrichtung, oder keinen Bezug zur zu formenden Materie als solcher, bevor sie nicht durch ebenjene Arbeiterhände gegangen ist und ihm kredenzt wird. Dadurch ist der Herr tatsächlich vom Knecht abhängig. (suche Zitat Diderot)

Der Knecht hingegen, welcher Werkzeuge, die Welt und sich selbst ( Bensch) durch seine gehemmte Begierde bildet, indem er sie nicht zur sofortigen Konsumption und Vertilgung bearbeitet, sondern der Gegenstand für ihn Selbstständigkeit, etwas Bleibendes hat, entwickelt im Laufe der Zeit bei diesem Vorgang erneut Selbstbewusstsein, oder Für-Sich-Sein.

"Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist demnach das knechtische Bewußtsein. Dieses erscheint zwar zunächst außer sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewußtseins. Aber wie die Herrschaft zeigte, daß ihr Wesen das Verkehrte dessen ist, was sie sein will, so wird auch wohl die Knechtschaft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtsein in sich gehen und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren." (GWF Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.152)

Es wird dem Knecht in diesem Tun und durch die Furcht vor dem Herrn, eigener Sinn, was vorher als fremder Sinn erschien, allerdings nur, indem diese Furcht erste absolute Furcht und Negativität an sich gewesen ist, und ihn durch jede Faser ins Wanken gebracht hat, beim Ausstehen nur einiger Angst gerät ihm die Erfahrung zum zum eitlen Eigensinn.

🄯 Copyleft.

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